Kinder mögen reicht nicht! Was macht gute Pädagog:innen aus?

Auf die Frage, warum sie Lehrerin werden wollen, antworteten viele meiner Studentinnen mit: „Weil ich Kinder mag“. Das ist jetzt an sich keine schlechte Motivation! Aber leider geht dieses Motiv bei vielen Studierenden mit dem Gedanken einher, dass das reicht. Dass das, was sie an der Uni lernen, nicht wichtig ist für die Praxis.

Warum sollen sie lernen, wie man wissenschaftlich arbeitet und was Kant, Pestalozzi oder Montessori so geschrieben haben? Die Texte sind kompliziert, oft dröge und forschen wollen sie ja ohnehin nicht – warum also Quellentexte aus dem vorigen Jahrhundert wälzen, wenn die Situation heute eine ganz andere ist?

Vielleicht genau deshalb: Die Situation ist anders, aber viele Fragen sind die gleichen. Das besondere an den Fragen ist:

Es gibt nicht eine Antwort, sondern viele.

Meine Meinung: Wir brauchen sogar noch mehr Theorie in der Lehrkräfteausbildung, in der Erzieher:innnenausbildung und generell für alle, die im Bildungswesen arbeiten.

Man muss nicht Rochow, Klafki, Montessori, Pawlow und Humboldt lesen – aber man muss die Ideen lesen! Die verschiedenen Antworten auf große Fragen. Es gibt weltweit ganz unterschiedliche Pädagogen (ja, meistens Männer, weil die Strukturen dies bedingten), deshalb will ich hier nicht auf die Klassiker bestehen, die ich im Studium hatte. Wichtig ist: Pädagog:innen müssen wissen, was mit Bildung als „Selbsttätigkeit des Kindes“, als „Aneignung von Welt“, als „Konditionierung“, als „allgemeine Menschenbildung“ gemeint ist. Sie müssen diese Ideen in anderen Konzepten erkennen und reflektieren können. Sie müssen bei der Auswahl von Methoden verstehen, welche Ideen dahinter stehen.

Denn es ist wichtig, dass Pägagog:innen wissen, warum sie tun, was sie tun. Was sind die pädagogischen Grundlagen ihres Handelns? Welches Menschenbild steht dahinter? Welche Werte wollen sie vermitteln, welche ethischen Prinzipien leiten ihre Entscheidungen? Das sind Fragen, die Pädagog:innen aktiv angehen müssen, sie dürfen nicht im Unterbewusstsein bleiben.

Wie wichtig das ist, zeigt sich vor allem dann, wenn Pädagog:innen mit schwierigen Situationen konfrontiert sind. Wird dann eine Lösung angeboten, geht es oft nur um die Frage, ob sie funktioniert (das Stichwort ist hier Evidenzbasierung).

Natürlich ist es toll, wenn eine Lösung für ein Problem funktioniert… Oder, Moment. Halten wir mal einen Moment inne und fragen uns:

Ist eine Lösung gut, wenn sie funktioniert?

Die Antwort ist einfach: Nein. Es gibt viele, viele Lösungen, die das Problem lösen, aber trotzdem kacke sind – manchmal, weil es nicht beabsichtigte Nebenfolgen gibt, also weitere Probleme entstehen und manchmal, weil die Lösung nicht mit den Werten übereinstimmt, die wir leben möchten. Oder die Lösung widerspricht unserem Menschenbild.

ABA ist da ein gutes Beispiel für – selbst wenn es funktionieren würde (Studien deuten auf das Gegenteil) – wäre es trotzdem eine Kackmethode, weil das Kind als konditionierbares Wesen gesehen wird, das funktionieren muss. Es darf seine Persönlichkeit nicht entfalten, sondern soll so sein (und nur so!) wie andere es haben möchten. Das geht in einer an demokratisch orientierten gesellschaft und mit Blick auf die Kinderrechte gar nicht.

Wie ist es bei sowas wie Frontalunterricht? Ist der auch kacke?

Die Antwort ist abhängig davon, wie sich lernen vorgestellt wird. Denke ich lernen als eine Art black-box-Modell? Das hieße: Die Lehrkraft gibt einen Input, im Kopf des Kindes (black box) passiert irgendwas, und dann kommt ein entsprechender Output raus? Diese Vorstellung geht mit der Annahme einher, dass das, was gelehrt wird, auch gelernt wird.

Oder denke ich Lernen als ko-konstruktiven Prozess? Die Aneignungstätigkeit des Kindes steht bei dieser Vorstellung im Mittelpunkt. Lehrkräfte begleiten individuelle Lernprozesse. Diese Vorstellung von Lernen ist nicht schematisch, sie ist viel schwammiger. Gebe ich einen Input, weiß ich nicht, was rauskommt.

Je nachdem, welche Idee ich überzeugender finde, wird sich meine Meinung gegenüber Frontalunterricht unterscheiden. Oberflächlich kann die Meinung sogar identisch sein bei Vertreter*innen beider Ideen – die Begründungen werden sich aber unterscheiden.

Und das ist es, was gute Pädagog*innen ausmacht: Sie müssen nicht nur wissen, was sie tun, sondern auch, warum sie tun, was sie tun. Das müssen sie begründen können und diese Begründungen müssen mit dem Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar sein.

Bei Frontalunterricht stehen die Chancen gut, dass sie es sind. Bei ABA habe ich da gravierende Zweifel.

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2 Gedanken zu “Kinder mögen reicht nicht! Was macht gute Pädagog:innen aus?

  1. Für guten, offenen Unterricht müssen meines Erachtens die Grundlagen gelegt werden, um vom Frontalunterricht abweichen zu können.
    Lässt man da ab der ersten Klasse den SchülerInnen „freie Hand“ schon bei der Recherche (und ja, da gehe ich von einer großen Blackbox bzw. zT schwierigen Prägung durch die Familie aus) kommen recht seltsame Lernerfolge zu Stande.

    Danke für diesen wunderbaren Blogpost.

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