Mein Kind ist noch zu jung, um Angst wegen des Kriegs zu entwickeln, denke ich. Trotzdem melde ich mich zu einer Veranstaltung an, in der es um die durch den Krieg ausgelösten Ängste von Kita- und Grundschulkindern gehen soll. Zu dem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass das Nachbarskind am nächsten Tag mit zwei Freundinnen im Hof „für Frieden in der Ukraine“ demonstrieren wird. Ein richtiges Hochtranspi haben sie gemalt, in den Farben der ukrainischen Nationalflagge mit ihrer Forderung nach Frieden. Sie rufen mehrmals laut etwas, springen hoch und drücken ihr Transpi an mein Fenster. Ich öffne es. „Wir demonstrieren! Frieden für die Ukraine! Frieden! Putin ist blöd!“.
Und plötzlich rede ich mit den etwa achtjährigen Kindern über den Krieg.
Meine Tochter steht neben mir im Fenster, halb auf dem Arm, halb auf ihren Beinen. Mir fällt auf, wie still sie geworden ist und wie konzentriert sie das Gespräch verfolgt. Ob ihr das neue Wort „Krieg“, das plötzlich in den Nachrichten und in Gesprächen auftaucht, aufgefallen ist? Sie hat das Wort noch nie nachgesprochen.
Ganz besonders um die Kinder machen sich das Nachbarskind und ihre Freundinnen Sorgen. „Denen geht es bestimmt nicht gut“. Wir reden über Flucht, ein Mädchen hofft, dass bald alle aus der Ukraine geflohen und in Sicherheit sind. Sie haben Angst vor „Atombomben, die Putin hat“. Ich sage, dass Atomwaffen sehr gefährlich seien und ihre Angst gut verstehen könne. Dass ich es für unwahrscheinlich halte, dass er sie benutzt.
„Die Russen sind doof“, sagt ein Mädchen. Ich widerspreche. „In Russland demonstrieren Menschen auch“, fällt einem Mädchen ein. „Ja, und die können dafür ins Gefängnis kommen“ „Aber die Kinder nicht. Kinder kommen nicht ins Gefängnis“. Ich bin da nicht so sicher, aber ich sage nichts. „Vielen russischen Kindern geht es auch nicht gut.“ Im Krieg geht es keinem gut.
An einem anderem Abend sendet die Abendschau einen Beitrag aus einer Schule, auf die russische und ukrainische Kinder gehen. Ich denke, es geht um die Problematik der aufkeimenden Feindlichkeit gegenüber Russen. Soll es wohl, geht aber mächtig schief.
In dem Beitrag wird ein Vater interviewt, der sagt, es gehe nicht um für oder gegen Putin, es sei kein Fußballspiel. Zoom auf einen etwa zehnjährigen Jungen, der Reporter fragt:
„Gibt es hier denn auch welche, die für Putin sind?“
Der Junge kämpft. Er ringt um eine Antwort. Er weiß, er soll nein sagen, er weiß, er soll nicht lügen. Er kneift die Augen fest zusammen und sagt: „Jaaa, schon“. Zoom auf eine Mutter, die beherzt das Wort für Putin ergreift und irgendwas über Piloten erzählt, die ein Land fliegen oder so. Während der Rede der Mutter schwenkt die Kamera immer wieder auf das neben ihr stehende Kind.
Ich schreibe eine Zuschauerinnen-Mail und mache eine Meldung an die Medienaufsicht. Ich habe noch keine Antwort erhalten. Etwa eine Woche später berichtet die Abendschau über die gleiche Schule. Es habe einen Anschlag auf selbige gegeben.
In der Veranstaltung zu Mit Kindern über Krieg sprechen geht es auch um Rassismus.
Es geht darum, wie unterschiedlich die Ängste der Kinder sein können. Eine Teilnehmerin kritisiert die weiße Perspektive der Veranstaltung. Sie sensibilisiert für die Ängste der Kinder, die das alles sehen, die die Solidarität mit den ukrainischen Flüchtlingen sehen, und die genau wissen, dass sie diese Solidarität nicht erfahren würden oder erfahren haben.
In der Kindernachrichtensendung logo erklärt Michael Roth, Staatsminister für Europa, auf die Frage eines Kindes, weshalb über diesen Krieg so viel berichtet würde und über andere Kriege nicht, dass uns dieser Krieg mehr anginge. Die Ukraine sei näher und da würden Menschen leben, die „wie wir sind und unsere Werte haben“. Dieser Rassismus bleibt in der Sendung unkommentiert. Ich überlege, ob ich noch eine Zuschauerinnenmail schreibe und schreibe erst mal diesen Beitrag.
Die Ängste, Gedanken und Lebenswelten der Kinder sind vielschichtig.
Was einem Kind Hoffnung gibt, kann ein anderes entmutigen.
Die Familien der Kinder sind vielfältig. Während an einigen Abendbrottischen darüber gesprochen wird, wie man den Urkainerinnen jetzt helfen kann, wird an anderen Entnazifizierung propagiert und an wieder anderen wird die Solidarität mit einem Stirnrunzeln beobachtet. Vielleicht läuft beim Abendbrot auch einfach ein Quiz oder man darf sowieso nicht sprechen. Und sicher gibt es auch Kinder, die nie am Abendbrottisch essen.
Wenn Pädagoginnen und Pädagogen mit Kindern über Krieg sprechen, müssen sie sich der unterschiedlichen Lebenswelten bewusst sein. Sie müssen sensibel die Ängste der Kinder wahrnehmen, dürfen nicht dramatisieren aber auch nicht lügen. Und, ein Satz, der mir aus der Veranstaltung hängen geblieben ist: „Es gibt keinen Grund, mit jungen Kindern über den Krieg zu sprechen, wenn sie das nicht von sich aus wollen“.
Wenn ihr mögt, teilt gern eure Erfahrungen. Ich würde gern mehr aus dem Leben und den Gedanken von Kindern lesen.