Die Würde des Menschen ist unantastbar?

Ein studentischer Gastbeitrag von Lea

Die Studierenden haben ein Video gesehen, in dem ein Kind mit ABA therapiert wird. Einige Studierende haben ihre Gedanken dazu aufgeschrieben. Hier sind die von Lea.

Ein solches Video zu sehen, war belastend und für mich nur schwer auszuhalten. Schon nach kurzer Zeit konnte man sich vorstellen, wie sehr das Mädchen leidet und desto schlimmer war es, zu sehen, dass niemand der Anwesenden etwas gegen dieses Leid getan hat.

In diesem Video wurde die Würde des Kindes auf eine schreckliche Weise angetastet und das Kind erniedrigt. Die angewandte ABA Therapie wird genutzt, um dem Kind das Wort „Mama“ beizubringen. Offensichtlich sind in der Sitzung die Mutter selbst und eine Therapeutin, die hinter der Kamera steht, anwesend. Von Anfang an auffällig ist, dass das Kind sehr sensitiv auf die Sprache reagiert und schnell frustriert ist. Man kann dem etwa 6-jährigen Mädchen ansehen, dass es mit ganzer Kraft versucht, das Wort auszusprechen, es jedoch einfach nicht schafft. Fast wie bei einem Hund bietet ihr die Mutter ein Bonbon als Belohnung an, als das Kind jedoch danach greifen möchte, zieht die Mutter ihre Hand zurück und zwingt das Kind dazu, das Wort auszusprechen. Dieses ist danach natürlich noch frustrierter und beginnt herumzuschreien. Dabei muss sie das konstante Summen des Wortes „Mama“ der Therapeutin ertragen, was bei ihr ganz deutlich zu einer Reizüberflutung führt. Als Außenstehender kann man sich vermutlich gar nicht vorstellen, wie sich das Kind in diesem Moment fühlt, aber man kann ihr deutlich ansehen, dass es unglaublich leidet. Mich schockt es daher umso mehr, dass in diesem Moment nicht die Würde des Mädchens, ihre Gesundheit und ihre Lebensfreude an die erste Stelle gestellt wird, sondern die vermeintliche Notwendigkeit, das Wort „Mama“ richtig auszusprechen.

Die Würde des Kindes wurde angetastet

Ab dem Moment, wo es für jeden offensichtlich war, dass das Kind schlicht und ergreifend nicht mehr kann und ihr Kopf wahrscheinlich einfach nicht mehr mit den vielen Reizen klarkommt, und die Therapie trotzdem weiter durchgezogen wurde, wurde für mich die Würde des Mädchens eindeutig verletzt. Ein weiterer Punkt, der für mich ganz klar eine Erniedrigung des Mädchens darstellt, ist die Tatsache, dass diese Szene überhaupt gefilmt und dazu noch im Internet veröffentlicht wurde. Dies geschah mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen den Willen des Mädchens, mindestens aber ohne ihre Einwilligung, und ist damit vor dem Hintergrund ihrer Persönlichkeitsrechte unverantwortlich.

Ist das ein Einzelfall?

Ich glaube nicht, dass diese Sitzung ein Einzelfall bei der Anwendung der ABA Therapie ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Sitzungen ähnlich wie diese ausgehen. Autistische Kinder sind leicht mit zu vielen Reizeinflüssen überfordert und dann nicht mehr in der Lage, klar zu denken. Sie brauchen außerdem eine ganze Weile um sich von so einer Reizüberflutung zu erholen. Ich will und kann mir gar nicht vorstellen, was für eine Belastung es für ein Kind sein muss, zu wissen, dass es nach so einer Überlastung wahrscheinlich bald schon wieder die nächste Sitzung haben wird, die vermutlich genauso schlimm oder sogar schlimmer ausgehen könnte.

Daher sollte man sich darüber Gedanken machen, ob es nicht eventuell bessere Wege gäbe, Kindern wie dem Mädchen in dem Video das Sprechen beizubringen, obwohl es vielleicht möglich ist, mit ABA sprechen zu lernen. Denn im Vordergrund sollte immer noch das Kind mit seinen ganz eigenen Bedürfnissen stehen und nicht der unbedingte Erfolg einer Therapie. Auch wenn ich nicht nachvollziehen kann, wie es sein mag, die Mutter eines autistischen Kindes zu sein, so kann ich mir doch vorstellen, dass auch sie doch eigentlich nur das Beste für ihr Kind möchte und somit an erster Stelle das Wohlbefinden des Kindes stehen sollte.

Sollte ABA verboten oder öffentlich gefördert werden?

In dem Fall der ABA Therapie glaube ich, dass auch wenig Einzelfälle reichen sollten, um über die Art und die Wirkung des Verfahrens genau zu reflektieren und dieses genauestens zu untersuchen. Es muss herausgefunden werden, ob die Methode wirklich nur bei einigen wenigen zu solchen Reaktionen wie die des Mädchens führen, oder ob fast alle Kinder, die mit dieser Therapie zu tun haben, an einem gewissen Punkt solche Schmerzen erleiden müssen. Wenn dies der Fall sein sollte, sollte die Therapie meiner Meinung nach verboten werden. Wie schon gesagt, muss die Würde des Menschen an erster Stelle stehen und dies kann mit der ABA Therapie eindeutig nicht erfüllt werden. Eher glaube ich, dass mehr nach anderen Methoden und Therapieformen gesucht werden sollte, welche zu ähnlichen oder sogar besseren Ergebnissen führen können, als die ABA Therapie. Somit bin ich auch nicht der Meinung, dass wir diese Art der Therapie mit öffentlichen Geldern fördern sollten. Nach einer gründlichen Untersuchung der Therapie von mehreren unabhängigen Ärzten kann es zwar natürlich auch sein, dass die Therapie schließlich doch als überwiegend gut befunden wird und der Fall des Mädchens aus dem Video ein Einzelfall bleibt. Dennoch bin ich der Meinung, dass Leute, die diese Therapie anwenden wollen, die Kosten dafür selber tragen sollten und dafür mehr Geld in die Forschung nach weiteren Therapieformen gesteckt werden sollte.

Im speziellen Fall des Mädchens sollte meiner Meinung nach die Therapeutin selbst das eindeutige Verbot der weiteren Anwendung der Methode aussprechen und lieber eine andere Herangehensweise anstreben, die die Würde des Mädchens nicht verletzt.

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Zur Autorin: Lea studiert Lehramt für die Primarstufe mit den Hauptfächern Deutsch und Englisch.

Hier gibt es mehr Informationen zum Hintergrund der studentischen Gastbeiträge


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