Wo sich Alternative Fakten und anderer Quatsch zu Hause fühlen: über Predatory Journals

“Wow”, dachte ich, als ich die Mail des American Journal of Educational Research las. Nachdem ich meine Studie über Inklusion und Ressourcen auf einer internationalen Tagung vorgestellt hatte, lud mich diese vermeintliche Fachzeitschrift zur Veröffentlichung der Studie ein. Das schmeichelt, denn veröffentlichte Artikel sind der Fame der Wissenschaft, die Währung, das, worum es geht, wenn das Forschungsinteresse allein einen nicht satt macht.

Ich hab mich also ziemlich gefreut. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass im Internet nicht alle nett sind und insbesondere wenn etwas einen “wow-Effekt” hat, Skepsis angebracht ist[1].

Deshalb habe ich recherchiert. Mir war schnell klar, dass da was ganz schön im Argen liegt, aber das Ausmaß der Kriminalität, der Cleverness, des Betrugs haben mich dann doch geflashed (wie bei Homöopathie bin ich ein bisschen sauer, dass ich nicht auf die Idee gekommen bin).

Worin besteht der Betrug?

Es handelt sich beim American Journal of Educational Research um eine von über 8000 online-Plattformen, die genauso aussehen, wie eine wissenschaftliche online-Zeitschrift. Jede*r kann bei wissenschaftlichen  Zeitschriften einen Artikel einreichen. Dieser wird dann anonym durch andere Wissenschaftler*innen begutachtet. In der Regel wird der Artikel dann entweder abgelehnt oder die Gutachter*innen geben Hinweise zur Verbesserung, die dann umgesetzt werden müssen, bevor der Artikel veröffentlicht wird. Dieses Vorgehen heißt “Peer-Review” und dient der Qualitätssicherung. 

Und genau hier liegt der Betrug: Betrügerische Journals tun nur so, als gebe es ein Peer-Review und die Möglichkeit, Artikel abzulehnen. In echt ist das Peer-Review aber – wenn nicht sowieso komplett automatisiert – so stark verkürzt, dass es keiner Qualitätssicherung mehr dienen kann, sondern lediglich dazu, legal behaupten zu können, dass es ein Peer-Review gibt. Diese Journals sind deshalb keine wissenschaftlichen Zeitschriften sondern Betrug und werden Predatory Journals bzw. wenn es ganze Verlage betrifft, Predatory Publishers genannt.

Warum ist das so clever?

Weil es super wissenschaftsintern ist. Bei einer Twitter-Umfrage haben 100 % der Teilnehmenden auf die Frage, ob sie Predatory Journals kennen mit “preda was?!” geantwortet. Es weiß also niemand, was es damit auf sich hat[2].
Selbst in der Wissenschaft ist das Bewusstsein um solche betrügerischen Fachzeitschriften relativ frisch.

Entstanden sind Predatory Journals mit der Open Access Bewegung. Und das ist fies, denn Open Access ist eine tolle Sache: Forschungsergebnisse sollen für alle umsonst zur Verfügung stehen. Das ergibt auch Sinn, schließlich wird die Forschung mit öffentlichen Geldern gefördert. Gleichzeitig sind Fachzeitschriften unglaublich teuer[3]. Aber wenn nun die Öffentlichkeit nicht mehr für die Zeitschriftenartikel bezahlt, dann verdient der Verlag kein Geld mehr daran, dass er ein Word- in ein pdf-Dokument umwandelt[4].
Das geht natürlich gar nicht, schließlich ist Kapitalismus und an irgendwem muss man folglich verdienen. 

Wenn die Wissenschaftler*innen eh schon alles machen, dann ist es ja nur logisch, dass sie dann auch für die Veröffentlichung bezahlen. Denn sie wollen schließlich ihre Ergebnisse veröffentlichen. Bei vielen seriösen Open Access Journals ist das ein gängiges Modell. Allein, dass man für eine Veröffentlichung bezahlen muss, macht ein Journal also noch nicht predatory. Besonders clever ist, dass die betrügerischen Journals häufig mit verhältnismäßig geringen – und nach der wirtschaftlichen Stärke von Ländern gestaffelten – Publikationsgebühren ihre Attraktivität erhöhen. Und die Namen dieser Journals klingen auch toll. Ob man an ein Predatory Journal gelangt, fällt also erst Mal gar nicht auf. Vielleicht wird man misstrauisch, wenn die Publikation sehr schnell geht. Vielleicht denkt man aber auch, dass man einfach einen guten Artikel geschrieben hat. Wir können festhalten:

Predatory Journals bauchpinseln das Wissenachaftsego, sind schwer zu erkennen [5] und sorgen sehr schnell und für vergleichsweise wenig Kohle für Fame.

Was ist daran so kriminell?

Nix. Das ist völlig legal.

Was ist dann das Problem?

Naja, wenn Quatsch in einem wohlklingenden Journal veröffentlicht wird, dann wird er eher geglaubt. So gibt es Artikel, die die Existenz von Chemtrails “beweisen” und den Klimawandel “widerlegen”, Artikel, die einen Zusammenhang zwischen Impfungen und so ziemlich allem Schlimmen und Autismus konstruieren ohne in irgendeiner Weise Gütekriterien von Forschung einzuhalten oder sonstige​n wissenschaftlichen Standards zu genügen. Diese Artikel sind nicht mehr wert, als ein Papier, auf dem einfach nur “get me off your fucking mailing list” steht [6].

Im Gegensatz zu letzterem werden sie aber mit Wissenschaft verwechselt und “Alternative Fakten“ erscheinen so plötzlich in vermeintlich seriösen Zeitschriften, werden von Journalist*innen und der Öffentlichkeit – ja teilweise sogar von der Wissenschaft selbst – gelesen, geglaubt, verbreitet. Das ist nicht gerade förderlich für die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft. 

Und es ist kacke für die Gesellschaft​. 

Aber geil für die Betrüger: Im Jahr 2014 wurden über 420.000 Artikel gegen Gebühr in Predatory Journals, die wir gerne auch Fake Journals nennen können, veröffentlicht, das macht  durchschnittlich 52 Artikel pro Journal. Bei einzelnen Predatory Journals – wenn nicht ein ganzer Predatory Verlag dahinter steht – lag die durchschnittliche Anzahl an Artikeln im Jahr 2014 bei rund 270. Wenn ich so eine Internetplattform online gestellt hätte und die durchschnittliche Publikationsgebühr von 150 Euro genommen hätte, hätte ich über 40.000 Euro verdient und wenn ich schon dabei gewesen wäre, hätte ich vielleicht zwei oder drei oder zehn solcher Journals und dann würde ich ganz in Ruhe forschen, ohne mich von irgendwelchen Fame-Vorgaben stressen zu lassen.

Tja, danke, Gewissen.

————————————

1. Das erste Mal mit cleverer Internetkriminalität, die über die üblichen Wunderpillen hinaus geht, wurde ich konfrontiert, als ich Au Pair werden wollte.

2. In einem Peer-Review würde nach der Zahl der Befragten verlangt werden – es waren nur zwei. “Niemand” ist also möglicherweise etwas übertrieben.

3. Nein, die Wissenschaftler*innen verdienen nicht daran, es sind die Verlage, die profitieren.

4. Ohne Scheiß, das ist die einzige “Leistung” des Verlags, der Rest wird ehrenamtlich – für den inneren Fame – von den Wissenschaftler*innen gemacht.

5. Eine Hilfe zur Orientierung in puncto echte und Predatory Journals bietet die – mittlerweile nicht mehr aktualisierte – Liste von Jeffrey Beall.

6. Predatory Journals schicken – wie Eingangs erwähnt – regelmäßig Mails. Wenn man einmal im Verteiler ist, ist man drin. Das hat zwei Wissenschaftler dazu bewogen den Artikel mit dem “fucking” zu schreiben. Der Artikel wurde zur Publikation im International Journal of Advanced Computer Technology angenommen.

Literatur: die Zahlen zu 2014 stammen aus einem Artikel von Shen & Björk 2015.



7 Gedanken zu “Wo sich Alternative Fakten und anderer Quatsch zu Hause fühlen: über Predatory Journals

  1. Guter Zeitpunkt für diesen Artikel, wo gerade dieses Penis-Klimawandel-„Paper“ durch die Medien geistert. Komischerweise scheint es niemanden zu interessieren, dass das bei einem Predatory Journal veröffentlicht wurde. Und selbst wenn es festgestellt wurde, scheint den meisten Journalisten nicht klar zu sein, was das bedeutet.

    Gefällt 1 Person

  2. Predatory journals are only part of the problem with scientific publishing, and they very well existed before the „open access“ movement.
    In any case, we need more awareness in both public and science before we can change the broken system, so thank you for the blog!

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar